65.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich aufgrund von Bewegungsmangel (1). Fehlernährung ist für noch mehr Todesfälle verantwortlich und laut Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation und des Gesundheitsberichts des Robert-Koch-Instituts daher der bedeutendste Risikofaktor für die Sterblichkeit in Deutschland (2). Dennoch unterschätzen wir Deutschen einen ungesunden Lebensstil und dessen Folgen, so das Fazit einer repräsentativen Studie des Lebensversicherers Canada Life (3). Den wenigsten sei bewusst, dass eine ungesunde Lebensführung zu gravierenden gesundheitlichen Problemen wie Adipositas, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes oder Krebs führen. 81% der 1.005 Befragten unterschätzten beispielsweise das Risiko, aufgrund ungesunder Ernährung schwerwiegende Krankheiten zu entwickeln und daher frühzeitig zu sterben. 72% unterschätzten das Risiko des Rauchens, 59% unterschätzten das Risiko, aufgrund von Bewegungsmangel frühzeitig zu sterben. Dass es den Deutschen an einer allgemeinen Risikowahrnehmung mangelt, könnte ein Grund dafür sein, dass es nach wie vor so wenigen gelingt, ihre Gesundheitsrisiken zu reduzieren.
Bedeutung des Lebensstils aus Sicht der Unternehmen
Auch Unternehmen profitieren deutlich davon, wenn ihre Entscheidungsträger mehr über die Bedeutung des Gesundheitsverhaltens für die Gesundheit und insbesondere die Produktivität ihres Unternehmens wissen, so das Ergebnis einer Studie (4). Sie untersuchte die Bereitschaft von Unternehmen, in die Verbesserung des Gesundheitsverhaltens von Mitarbeitern zu investieren. Als einer der bedeutenden Einflussfaktoren auf die Motivation der Entscheider wurde dabei deren Risikowahrnehmung in Bezug auf den Lebensstil von Mitarbeitern für die Produktivität identifiziert. Je stärker sich die Entscheidungsträger über den Einfluss von Bewegung, Ernährung, Stressmanagement und Gesundheitsrisiken auf die Produktivität des Unternehmens bewusst waren, desto eher waren sie bereit, innovative Lösungen zur Förderung des Gesunheitsverhaltens umzusetzen. So weit, so schlüssig (5).
Interessant dabei war die Gewichtung der Befragten, mit der sie die verschiedenen Risiken für die Produktivität unterschiedlich einschätzten. Während 90% der befragten Entscheider Mitarbeiter mit mangelndem Stressmanagement als schwerwiegend für die Produktivität eines Unternehmens einschätzten, bewerteten nur 57% der Befragten das Szenario als produktivitätsrelevant, in dem viele Mitarbeiter sich ungesund ernährten. Andere Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel und Übergewicht wurden im Vergleich zum mangelnden Stressmanagement ebenfalls als deutlich weniger bedeutsam bewertet.
Stärkere Gewichtung des Risikofaktors „Mangelndes Stressmanagement“
Die deutlich stärkere Gewichtung des Risikofaktors „Mangelndes Stressmanagement“ könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Wahrnehmung der Entscheidungsträger aufgrund des omnipräsenten Themas „Psychische Gesundheit“ verzerrt und andere Bereiche des Lebensstils noch nicht von allen Entscheidern als wichtige Einflussgröße auf die Produktivität wahrgenommen werden. Denn wissenschaftlich belegt ist, dass alle Gesundheitsrisiken, die aus dem Verhalten resultieren, einen ähnlichen Effekt auf die Produktivität haben: sie reduzieren die Leistungsfähigkeit um 2,4% pro Risikofaktor (6).
Dass anwesende aber unfitte Mitarbeiter eine viel größere Bedeutung für die Produktivität haben als die Arbeitsunfähigen, scheint ebenfalls noch nicht bei allen Entscheidern als Wissen verankert zu sein. Während Fehlernährung beispielsweise von 57% der Befragten als produktiviätsrelevant bewertet wurde, gaben 98% der Befragten an, dass ein hoher Krankenstand schlecht für die Produktivität des Unternehmens sei (4). Wie wir spätestens seit dem Review von Steinke und Badura über Präsentismus jedoch wissen, liegt das viel größere Potenzial für Unternehmen in einer Verbesserung der Gesundheit der Anwesenden statt in der Reduzierung der Krankheitsquote (7).
Forschung zur Führungsaufgabe Gesundheit klammert Lebensstil aus
Dass die Bedeutung vom Lebensstil im Gesundheitsmanagement insgesamt noch unterschätzt wird, könnte darin begründet sein, dass die Wissenschaft wenig Kenntnisse zur positiven Einflussnahme auf das Gesundheitsverhalten von Mitarbeitern produziert. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Forschung zur Führungsaufgabe Gesundheit. Obwohl Führungskräfte nachweislich einen positiven Einfluss auf den Lebensstil von Mitarbeitern nehmen und somit deren Leistungsfähigkeit steigern können (8, 9), beschränken sich wissenschaftliche Publikationen zur Führungsaufgabe Gesundheit jedoch nach wie vor auf das „Gesundheitsverhalten am Arbeitsplatz“ (10). Mitarbeiter erhalten ausschließlich Impulse zur Reduktion ihres Stresslevels. Verhaltensweisen, die unmittelbar mit der Gesundheit und beruflichen Leistungsfähigkeit zusammenhängen, wie z.B. das Bewegungs- und Ernährungsverhalten, werden vollständig ausgeklammert.
Was unter „Gesundheitsverhalten“ im Rahmen der Führungsaufgabe Gesundheit verstanden wird, zeigen zwei Items aus der Untersuchung zur „gesundheitsorientierten Führung“ nach Franke und Felfe (9): a. „Meine Führungskraft läd mich dazu ein, sie über Gesundheitsrisiken an meinem Arbeitsplatz zu informieren“, b. „Ich versuche meine Anforderungen zu reduzieren, indem ich meine persönliche Work-Life-Balance optimiere, z.B. regelmäßige Pausen, Überstunden vermeiden“ (S. 147). Dass eine Sichtweise, die erstens Arbeit als Gesundheitsrisiko begreift und zweitens die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Gesundheit ausklammert, nicht dazu beiträgt, dass mehr Mitarbeiter Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen, ist naheliegend. Laut iga Report 22 gefährdet zudem die Überzeugung, Arbeit sei gefährlich, die Gesundheit von Mitarbeitern, statt sie zu fördern (11).
Führungskräfte als Chance für mehr Eigenverantwortung
Betriebliches Gesundheitsmanagement sollte seine Chancen stärker nutzen, die im Gesundheitsverhalten von Mitarbeitern liegen. Insbesondere Führung kann hier durch die direkte Ansprache des Gesundheitsverhaltens als wichtiger Multiplikator für mehr Eigenverantwortung dienen. Dabei soll sie weder missionieren, noch Ratschläge erteilen, Lösungen vorgeben oder Gesundheitsexperte spielen. Die Förderung von Eigenverantwortung beginnt mit dem wertschätzenden Interesse der Führungskraft an den vorhandenen Kompetenzen sowie an der intrinsischen Motivation des Mitarbeiters, für sich selbst optimal zu sorgen. Dass diese Selbstfürsorge den Lebensstil und die Gesundheitsrisiken Bewegungsmangel, Fehlernährung und Gesundheitsrisiken wie Rauchen, Alkohol und Übergewicht in den Blick nehmen sollte, wird aus den Ergebnissen des Robert-Koch-Instituts sowie der Weltgesundheitsorganisation mehr als deutlich.
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Quellen:
(1) CENTRE FOR ECONOMICS AND BUSINESS RESEARCH: The economic costs of physical inactivity in Europe. An ISCA/Cebr report. 2015. http://inactivity-time-bomb.nowwemove.com.
(2) Robert Koch-Institut (Hrsg.) (2015) Gesundheit in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Gemeinsam getragen von RKI und Destatis. RKI, Berlin.
(3) Canada Life. Risikoeinschätzung der Deutschen 2015. Pressemitteilung.
(4) Linnenschmidt, M., Lümkemann, D. & Lippke, S. (2015). Eine Frage der Bereitschaft. Personalmagazin 09/2015, S. 54 – 57.
(5) Linnenschmidt, Melanie (2015). Gesundheit ist (k)eine Privatsache – Führungspotenziale und die Bereitschaft der Unternehmen. Masterarbeit an der Universität Hamburg. Unveröffentlichtes Manuskript.
(6) Burton, W. N. (2006). The association between health risk change and presenteeism change. Journal of Occupational and Environmental Medicine 48(3).
(7) Steinke, M. & Badura, B. (2011). Präsentismus: Ein Review zum Stand der Forschung. 1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2011.
(8) Lümkemann, D. (2011). Die Produktivität steigt. Personalmagazin – 03/2011.
(9) Lümkemann, D. (2007). Führungskräfte als Botschafter. Personalwirtschaft – 08/2007.
(10) Franke, F., Felfe, J., Pundt, Al. (2014). The impact of health-oriented leadership on follower health:Development and test of a new instrument measuring health-promoting leadership. Zeitschrift für Personalforschung, 28. Jahrgang, Heft 1-2.
(11) Bödecker, W & Barthelmes, I. (2011). iga.Report 22. Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Berufe mit hoher Krankheitslastin Deutschland. Synopse des wissenschaftlichen Kenntnisstandes und ergänzende Datenanalysen. 1. Auflage.