Warum „Psychische Belastungen“ fehlinterpretiert werden

Dass Arbeit überwiegend schützend auf die psychische Gesundheit wirkt, ist unbestritten. Wenn man deutsche Publikationen zum Thema Gesundheitsmanagement liest, bekommt man dennoch den Eindruck, Deutschland befinde sich aufgrund krankmachender Arbeitsbedingungen in einem desolaten psychischen Gesundheitszustand. Dass dem nicht so ist, zeigen sowohl die Ergebnisse des Robert-Koch-Instituts (1), als auch die Erkenntnisse der iga-Reporte 31 und 32 (2, 3). Eine gesundheitliche Gefährdung durch Arbeitsbedingungen ist demnach als ein äußerst geringes und teilweise gar nicht vorhandenes Gesundheitsproblem zu bewerten im Vergleich zu anderen Gesundheitsproblemen, die aus dem Gesundheitsverhalten resultieren (z.B. Bewegungsmangel, Übergewicht, Bluthochdruck). Für psychische Belastungen ist ein Gesundheitsmanagement, das die Gesundheitskompetenz des Individuums ins Zentrum rückt, der vielversprechendste Weg. Das wird auch dann deutlich, wenn man sich mit dem Thema „Psychische Belastungen am Arbeitsplatz“ beschäftigt.

Mitarbeiter als Schlüssel zu mehr Gesundheit

Eine psychische Belastung ist laut DIN EN ISO 10075-1 „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“ (4). Sie stellt somit zunächst einmal nur eine neutral zu bewertende Anforderung an die Psyche des Menschen dar. In Abhängigkeit der „jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Leistungsvoraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien“ führt sie zu einer „Beanspruchung“ des Individuums, die sowohl positiv (z.B. Lernen, Persönlichkeitsentwicklung) als auch negativ (z.B. Müdigkeit, Frustration) sein kann. Wie sich diese Beanspruchung langfristig auf den Mitarbeiter auswirkt, d.h. ob sie z.B. zu einer Steigerung der Kompetenzen führt oder ob sie negative Folgen für die Gesundheit des Mitarbeiters hat, hängt vor allem von dessen individuellen Kompetenzen ab. Der Mitarbeiter ist somit der Schlüssel zu mehr Gesundheit und stärkster „Hebel“, wenn Gesundheit auch bei hohen Anforderungen erhalten werden soll.

Stress entsteht durch persönliche Bewertungen

Der iga-Report 22 hat u.a. gezeigt, dass allein die Überzeugung, Arbeit sei gefährlich, die Gesundheit von Mitarbeitern gefährdet (5). Eine positive Einstellung zur Arbeit als Herausforderung statt Bedrohung zu gewinnen, ist in diesem Beispiel eine bedeutende mentale Kompetenz, mit der das persönliche Stressgeschehen positiv beeinflusst werden kann (6). Kontraproduktiv für die Gesundheit von Mitarbeitern ist es hingegen, wenn Opferhaltungen unterstützt, statt Handlungsspielräume durch mehr Eigenverantwortung aufgezeigt werden. Wenn wie in der Vergangenheit und Gegenwart Fehlzeitenstatistiken falsch interpretiert werden, ein nicht vorhandener Anstieg psychischer Erkrankungen propagiert und dieser auch noch aufgrund unwissenschaftlicher Schlussfolgerungen auf schlechte Arbeitsbedingungen zurückgeführt wird, schürt dies  einen weiteren, unnötigen Risikofaktor. Stattdessen könnte der Fokus auf die tatsächlich bedeutsamen Einflussfaktoren gelegt und Mitarbeiter durch mehr Eigenverantwortung unabhängiger vom Agieren oder Nicht-Agieren der Unternehmen in Sachen Gesundheit gemacht werden. Was also läuft schief im Betrieblichen Gesundheitsmanagement in Deutschland?

Gesundheitsmanagement unterliegt einer negativ verzerrten Wahrnehmung

Laut Bakker und Derks sei es deutlich wahrnehmbar, dass die Forschung der Arbeits- und Organisationspsychologie vor allem Risikofaktoren am Arbeitsplatz und daraus resultierende Krankheiten untersuche (6).  Es gebe in dieser Wissenschaft daher nach wie vor einen merklichen „negative bias“, den sie den 4-D-Ansatz nennen: damage, disease, disorder, disfunction (Schaden, Krankheit, Störung, Fehlfunktion). Da dieser negative Blick auf die Arbeitswelt nicht angemessen sei, müssten die gesundheitsfördernden Aspekte von Arbeit zunehmend untersucht und die Bedeutung des Individuums im Umgang mit psychischen Anforderungen stärker in den Blick genommen werden.  Möglichweise gelingt es dann, auch in Deutschland chancenorientierter und positiver auf die Gesundheit in Unternehmen zu blicken.

 

Quellen:

(1)     Robert Koch-Institut (Hrsg.) (2015) Gesundheit in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Gemeinsam getragen von RKI und Destatis. RKI, Berlin.

(2)     Rau. R. (2015). iga.Report 31. Risikobereiche für psychische Belastungen. 1. Auflage.

(3)     Paridon, H. (2016). iga.Report 32. Psychische Belastung in der Arbeitswelt. Eine Literaturanalyse zu Zusammenhängen mit Gesundheit und Leistung. 1. Auflage.

(4)     Deutsches Institut für Normung, e.V. EN ISO 10075 (2000). Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung – Teil 1: Allgmeines und Begriffe. Berlin: Beuth.

(5)     Bödecker, W & Barthelmes, I. (2011). iga.Report 22. Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Berufe mit hoher Krankheitslastin Deutschland. Synopse des wissenschaftlichen Kenntnisstandes und ergänzende Datenanalysen. 1. Auflage.

(6)     Kaluza, G. (2015). Gelassen und sicher im Stress. Das Stresskompetenz-Buch. Stress erkennen, verstehen, bewältigen. Heidelberg: Springer.

(7)     Bakker, A. B. & Derks, D. (2010). Positive Occupational Health Psychology. In: Leka, S. & Houdmont, J. (Hrsg.) Occupational Health Psychology. Wiley-Blackwell.

 

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