Risikofaktor Vorgesetzter: einseitige Darstellung

Auf einem Fachkongress Ende 2013 wurde neben den aktuellen Trends und Herausforderungen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement auch der „Risikofaktor Vorgesetzter“ diskutiert. Der Gesundheitsexperte Bernhard Badura führte in diesem Zusammenhang die Führungskraft als einer der belastenden Faktoren auf, die in Unternehmen zukünftig stärker unter die Lupe genommen werden müssten. Unter anderem sie verursachten laut Badura eine derzeit „tickende Zeitbombe“, die die Gesundheit der Mitarbeiter und somit Produktivität des gesamten Unternehmens gefährde und daher rechtzeitig durch entsprechende Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements entschärft werden müsste (1). Aus unserer Sicht wird der mögliche gesundheitsgefährdende Einfluss von Führungskräften auf die Gesundheit von Mitarbeitern übertrieben und vor allem einseitig dargestellt.

Bedingungsbezogene Risiken nur eine Seite der Medaille

Neuere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass Führungskräfte durch ihren Führungsstil einen Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeiter haben (2). Fehlende Anerkennung, mangelnde Wertschätzung und soziale Unterstützung, zu wenig Transparenz und wenig Vertrauen können sich, ebenso wie schlecht gestaltete Arbeit und erschwerende Arbeitsbedingungen negativ auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeiter auswirken. Unternehmen haben somit allein durch die Entwicklung von Führungskräften die Möglichkeit, auf die Bedingungen von Arbeit und somit auch auf die Produktivität von Mitarbeitern Einfluss zu nehmen.

Die Diskussion um entsprechende Maßnahmen, die den Präsentismus in Unternehmen reduzieren soll, wird jedoch immer noch zu einseitig geführt. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der Zunahme von verhaltensbedingten Gesundheitsrisiken ist die entscheidende Frage, welchen Einfluss Unternehmen und Führungskräfte auf das Gesundheitsverhalten der Mitarbeiter nehmen können. Obwohl der Einfluss des Bewegungs- und Ernährungsverhaltens ebenso wie der Stresskompetenz der Mitarbeiter auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit wissenschaftlich bestätigt ist (3), wird dieser Zusammenhang in der Präsentismus-Debatte ausgeblendet. Dieser aber wichtigen zweiten Seite der Medaille und Herausforderung im Betrieblichen Gesundheitsmanagement kann mit weitaus mehr Maßnahmen als mit den klassischen Wegen der Eigenverantwortungsförderung (Gesundheitsinformationen, Gesundheitskurse etc.) zielgerichtet entgegnet werden.

Vorgesetzter: Einfluss auf das Gesundheitsverhalten von Mitarbeitern

Ansätze, die die Einflussnahme der Führungskraft auf das Gesundheitsverhalten der Mitarbeiter wissenschaftlich untersuchen, gibt es kaum (2). Die Idee, durch die direkte Kommunikation auf das Gesundheitsverhalten von Mitarbeitern Einfluss zu nehmen, beschränkt sich in der Praxis bisher allenfalls auf Krankenrückkehrgespräche als Teil des Fehlzeitenmanagements (4). Die Dialoge beschränken sich damit auf die Gruppe der bereits erkrankten Mitarbeiter und beziehen anwesende Mitarbeiter, die aber verhaltensbedingte Gesundheitsrisiken aufweisen, nicht ein.

Die Praxis ist der Wissenschaft hier einen Schritt voraus. So zeigen einige Projekt-Evaluationen, dass das Konzept sowohl der direkten Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zum Thema Gesundheit und Gesundheitsverhalten als auch die Vorbildfunktion der Führungskraft einen bislang unterschätzen Beitrag zur Steigerung der Mitarbeitergesundheit und Produktivität leisten kann (5, 6).

Täter-Opfer-Diskussion beenden

In Bezug auf die Verantwortung für die Gesundheit von Mitarbeitern, sind differenzierte Diskussionsbeiträge wünschenswert. Ebenso wie psychische Erkrankungen in Deutschland nicht zugenommen haben, sind Führungskräfte nicht die neuen Risikofaktoren, die hauptverantwortlich für den Erhalt der Mitarbeitergesundheit sind. Stimmungsmachende Schlagzeilen, die die Verantwortung für die Gesundheit von Mitarbeitern einseitig verlagern, helfen der zukünftigen Implementierung von effektiven Konzepten im Betrieblichen Gesundheitsmanagement nicht weiter. Vielmehr ist eine größere Bandbreite der Einflussmöglichkeiten aufzuzeigen, die die Möglichkeiten der Motivierung von Mitarbeiter zu gesundheitlichem Handeln berücksichtigt und mit konkreten Handlungsempfehlungen Orientierung bietet. So würde die Führungskraft nicht als „Risikofaktor“, sondern vielmehr als eine wichtige Ressource gelten, die die Gesundheit von Mitarbeitern nicht nur schützt, sondern vor allem stärkt.

 

Quellen:

(1)     Ärztezeitung. Plädoyer für Betriebliches Gesundheitsmanagement (25.10.2013). Verfügbar unter: https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/praevention/article/848799/praevention-plaedoyer-betriebliches-gesundheitsmanagement.html

(2)     Franke, F., Vincent, S. & Felfe, J. (2011). Gesundheitsbezogene Führung. In E. Bamberg, A. Ducki & A.-M. Metz (Hrsg.), Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt. Ein Handbuch (S. 371-391). Göttingen: Hogrefe.

(3)     Burton, W. N., Chen, C. Y., Conti, D. J., Schultz, A. B., Pransky, G. & Edington, D. W. (2005). The association of health risks with on-the-job productivity. Journal of Occupational and Environment Medicine, 47(8), 769-77.

(4)     Kiesche, E. (2011). Krankenrückkehrgespräche und Fehlzeitenmanagement. Hans Böckler Stiftung.

(5)     Lümkemann, D. (2007). Führungskräfte als Botschafter. Personalwirtschaft – 08/2007

(6)     Lümkemann, D. (2011). Die Produktivität steigt. Personalmagazin – 03/2011.

Führungsaufgabe Gesundheit, Gesundheitsmaßnahmen, Gesundheitsverhalten, Präsentismus
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