Die Stressforschung hat schon vor langer Zeit herausgefunden, dass Stress durch persönliche Bewertungsprozesse entsteht. Nicht jeder „Stressor“ führt bei jeder Person automatisch zu einer Stressreaktion. Aber kann allein die Einstellung zum Stress zu einer Verschlechterung der Gesundheit oder gar zu einem frühzeitigen Tod führen? Ja – so das Ergebnis einer beeindruckenden Studie (1).

Bewertung von Stress beeinflusst die Gesundheit

Um diese bereits in den Stresstheorien verankerte These zu testen, erfragten das Forscherteam um Abiola Keller der University of Wisconsin 28.753 Personen, wieviel Stress sie in den letzten 12 Monate erlebt hatten. Zusätzlich erhoben sie deren Wahrnehmung, wie stark dieser in den letzten 12 Monaten ihre Gesundheit beeinträchtigt hat und ob sie etwas unternommen hatten, um ihren Stress zu reduzieren. Als Indikatoren für Gesundheit fragten die Forscher zum einen nach der persönlichen Einschätzung des Gesundheitszustands. Zum anderen untersuchten sie deren psychische Gesundheit anhand von Fragebögen und ermittelten am Ende des Untersuchungszeitraumes nach acht Jahren die Todesfälle. Um weitere mögliche Einflüsse auf die Gesundheitsindikatoren zu kontrollieren, erhoben sie soziodemografische Daten, das Gesundheitsverhalten (Rauchen, körperliche Aktivität), chronische Erkrankungen und den Zugang zur medizinischen Versorgung.

Eine Frage der Bewertung

Keller und Kollegen fanden heraus: Diejenigen, die sowohl von viel Stress in den letzten 12 Monaten berichteten, als auch der Überzeugung waren, dass der Stress ihre Gesundheit gefährde, hatten ein um 43% höheres Risiko frühzeitig zu sterben. Interessanterweise wiesen jedoch die Untersuchten, die ebenfalls großem Stress ausgesetzt waren, ihn aber für unbedenklich hielten, das niedrigste Sterberisiko auf – niedriger noch als diejenigen, die von wenig oder gar keinem Stress berichteten. Das Ergebnis zeigt somit: das Problem, das wir mit dem Stress haben, ist nicht der Stress an sich, sondern vor allem der Stress, den wir uns selbst machen.

Annahme einer Gesundheitsgefahr durch Arbeit gesundheitsgefährdend

Dass allein die Einstellung zu den Dingen ein Gesundheitsrisiko darstellen kann, zeigt sich auch hinsichtlich der Einstellung zur Arbeit. Der iga-Report 22 berichtete bereits 2011 von einer Studie, die die Überzeugung, Arbeit sei gefährlich, als einen eigenständigen, psychosozialen Risikofaktor ermittelte (2). Diejenigen, die von einer gesundheitsschädigenden Wirkung von Arbeit ausgehen, haben damit ein höheres Gesundheitsrisiko, unabhängig davon, wie viel Stress sie tatsächlich erleben. Für den Umgang in den Unternehmen ist daher eine versachlichte Diskussion gesundheitlich bedeutsam. Dass an Burnout weniger als 2% der Menschen in Deutschland erkrankt sind, zeigen die Ergebnisse des Robert-Koch-Instituts. Die Überzeugung, dass Arbeit perse gesundheitsfördernd statt gesundheitsgefährdend ist, stellt damit eine wichtige bedingungsbezogene Ressource für Arbeitnehmer dar. Diese wird insbesondere durch die Führungsaufgabe Gesundheit gestärkt, welche statt der Gesundheitsgefahren, die Gesundheitschancen für Mitarbeiter betonen.

Betriebliches Gesundheitsmanagement positiv und kennzahlenorientiert gestalten

Für Unternehmen sind die Erkenntnisse ein weiteres Indiz für die Gelassenheit, die bezüglich des Themas Stress eingenommen werden kann. Es hilft nicht, die Eigenverantwortung der Mitarbeiter außer Acht zulassen, wenn das Ziel sein soll, Stressresilienz zu fördern. Vielmehr ist die Entwicklung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur der Weg hin zu mehr Eigenverantwortung und damit individueller Gesundheitsförderung der richtige Weg, wie eine Studie von Kent, Goetzel und Kollegen zeigt.

 

Quellen:

(1) Keller, A. (2012). Does the Perception That Stress Affects Health Matter? The Association With Health and Mortality. Health Psychology, 31 (5), 677 – 684.

(2) Bödecker, W & Barthelmes, I. (2011). iga.Report 22. Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Berufe mit hoher Krankheitslastin Deutschland. Synopse des wissenschaftlichen Kenntnisstandes und ergänzende Datenanalysen. 1. Auflage.

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