Stresskompetenz durch Gesundheitsmanagement stärken

Die Medien berichten trotz einiger aufklärender Artikel immer noch von Zahlen, die eine angeblich dramatische Entwicklung der psychischen Gesundheit in Deutschland erkennen ließen. Ein Anstieg psychischer Erkrankungen sei ein alarmierender Hinweis auf die sich verändernde Arbeitswelt und deren gravierender Einfluss auf die psychische Gesundheit deutscher Arbeitnehmer. Gesetzliche Verordnungen zur Gewährleistung der psychischen Gesundheit in Unternehmen werden daher von Politik und Gewerkschaften nach wie vor gefordert. Epidemiologische Untersuchen zeigen jedoch: seit Jahrzehnten ist die Prävalenz (Vorkommenshäufigkeit) von psychischen Erkrankungen in Deutschland unverändert. Dies geht unter anderem aus dem kürzlich veröffentlichten Modul „Psychische Gesundheit“ des Deutschen Gesundheitssurvey (DEGS) vom Robert-Koch-Institut hervor (1,2,3). Lediglich eine Verlagerung der Störungen sei zu beobachten, nicht aber eine Erkrankungszunahme. Die Gesamtprävalenz von einem Drittel liege sogar unter der in der Europäischen Union mit 38,2 Prozent. Wie lässt sich nun die Stresskompetenz stärken?

Stressreport 2012: Keine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen

Dass insgesamt keine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu beobachten ist, zeigt auch der Stressreport Deutschland 2012. Dieser lässt erkennen, dass die psychischen Anforderungen und Belastungen, zu denen gesundheitsrelevante Faktoren wie Zeitdruck und Störungen bei der Arbeit zählen, seit der letzten Erhebung 2005/2006 im Großen und Ganzen stabil geblieben sind (4). Gesundheitsgefährdende Faktoren wie Arbeitsplatzunsicherheit und prekäre Arbeitsverhältnisse haben sogar abgenommen. Trotz dieser wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse werden nach wie vor steigende Zahlen psychisch bedingter Krankmeldungen häufig auf die Arbeitsbedingungen zurückgeführt. Grund für die gestiegenen Zahlen registrierter psychischer Erkrankungen sei laut Herbert Rebscher, Vorsitzender der DAK-Gesundheit, jedoch nicht ein Anstieg an Erkrankungen, sondern vor allem ein verändertes Bewusstsein und eine stärkere Sensibilität von Ärzten und Patienten in Bezug auf psychische Erkrankungen (1). Dies zeigte unter anderem eine Studie mit 3.090 Erwerbstätigen und Gruppendiskussionen mit Hausärzten (5).

Psychische Störungen: Arbeit allein kann es nicht sein

Die Ursachen für psychische Erkrankungen sind vielschichtig und liegen häufig weit in der Vergangenheit. Neuere Studien, darunter auch neurobiologische Studien, zeigen, dass die Fähigkeit mit Stress erfolgreich umzugehen, bereits in der Kindheit gelernt und in dieser Zeit grundlegend beeinflusst wird. Wichtig seien hier vor allem feste Bezugspersonen,  die Sicherheit vermitteln und zu einer größeren psychischen Stabilität sowie zu einem gesundheitserhaltenden Umgang mit Stress im Erwachsenenalter führen (7,8,9). Monokausale Schlussfolgerungen, die die Arbeitsbedingungen als alleinige Ursache für psychische Störungen begreifen, sind auch aus diesem Grunde schon nicht zulässig.

Dass sich 50% aller psychischen Störungen bereits bis zum 15. Lebensjahr entwickelt haben, ist ein weiteres Argument dafür, dass es falsch ist, psychische Erkrankungen vorrangig auf die Arbeit zurückzuführen (2, 3). Zu betonen sei auch laut Stressreport 2012, dass Arbeit grundsätzlich für die meisten von uns eine positive und psychisch stabilisierende Wirkung hat. Nicht ohne Grund liege das psychische Wohlbefinden von Beschäftigten daher über dem der Menschen in Arbeitslosigkeit.

Sachliche Diskussion und differenzierte Diagnostik gefordert

Wolfgang Schneider, Direktor der Rostocker Universitätsklinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, betrachtet die Entwicklung zunehmender Burnout-Diagnosen mit großer Skepsis. Aus seiner Sicht würden derzeit viele Menschen dazu neigen, sich schnell als psychisch belastet zu sehen und dem medialen Hype rund um das Thema Burnout zu folgen, um die überfordernde Arbeitswelt als Grund für ihr psychisches Leiden zu erklären. Laut Schneider gehöre ein gewisses Maß an Müdigkeit, Erschöpfung, Demotivation oder Schlafstörungen bei beruflichen oder privaten Problemen jedoch zum Normalbereich des menschlichen Erlebens dazu. Aus Erfahrung hält er es für nicht ratsam, alles zu pathologisieren. Die häufig sozialen Probleme würden so zu Medizinischen gemacht und den Betroffenen nur wenig nützen. Im Gegenteil. Eine Diagnose und Medikamente würden die Probleme meist erst richtig anschieben (6). Von einer Hilfe zur Selbsthilfe würde Mitarbeitern daher in vielen Fällen stärker profitieren, als die passive Opferrolle frühzeitig anzunehmen.

Eigenverantwortung und Kompetenzen der Mitarbeiter fordern und fördern

Nicht zielführend sei daher laut Dr. Stephan Sandrock, Arbeitspsychologe am Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, auch der Entwurf der Anti-Stress-Verordnung, welche den Arbeitsschutz um den Schutz der psychischen Gesundheit ergänzen soll. Die momentane „mediale Hetze“ müsse einer objektiven und versachlichten Diskussion weichen. Wichtige Facetten des Themas wie die Sensibilisierung und Eigenverantwortung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten hier angesprochen werden (10). Diese Ansicht teilt auch Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt. Die Ursachen psychischer Erkrankungen auf die Arbeitsbedingungen zu reduzieren und vereinfachte Lösungsansätze für diesen „komplizierten und vielschichten Bereich“ anzubringen, würde keinem psychisch Erkrankten helfen. Jeder Einzelne müsse seinen Beitrag dafür leisten, die eigene psychische Gesundheit zu erhalten (11). Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und Unterstützung bei der Umsetzung zu leisten, ist daher wichtigste Aufgabe der Unternehmen im Rahmen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements.

Stresskompetenz erhöhen durch Betriebliches Gesundheitsmanagement

Zur Vorbeugung psychischer Erkrankungen ist die Kompetenzerweiterung im individuellen Stressmanagement unabdingbar. Mitarbeiter müssen über die Zusammenhänge zwischen dem eigenen Gesundheitsverhalten und der Entstehung von Stress und psychischen Krankheiten umfassend informiert sein. Daraus ergeben sich zahlreiche Handlungsmöglichkeiten, die jeder Einzelne zur Vorbeugung von chronischer Überbelastungen durch Beruf und Alltag nutzen kann. Kompetenzen für einen aktiven Umgang mit Anforderungen, die Reflexion und Reduktion innerer, stressverschärfender Gedankenmuster und der effektive Abbau von Stress unter anderem durch körperliche Aktivität, Entspannung und einer aktiven Freizeitgestaltung sind wichtige Bestandteile einer umfassenden Stresskompetenz. Diese Handlungsspielräume müssen den Mitarbeitern frühzeitig durch präventive Maßnahmen im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements aufgezeigt werden, wodurch die Unternehmen nicht nur psychischen Krankheiten vorbeugen, sondern auch die Gesundheit und somit auch die Produktivität aller Mitarbeiter steigern können (12).

 

Quellen:

(1)     Depression verursacht achtmal mehr Fehltage als Burnout. Deutsches Ärzteblatt, 26. Februar 2013.

(2)     Jachertz, N. (2013). Psychische Erkrankungen: Hohes Aufkommen, niedrige Behandlungsrate. Deutsches Ärzteblatt, 110(7).

(3)     Wittchen, H. U. & Jacobi, F. (2012). Was sind die häufigsten psychischen Störungen in Deutschland? DEGS-Symposium.

(4)     Lohmann-Haislah, A. (2012). Stressreport Deutschland 2012. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Dortmund/Berlin/Dresden: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

(5)     DAK-Forschung (2013). DAK-Gesundheitsreport 2013.

(6)     Psychiater: Menschliche Gefühle nicht zu Krankheiten machen. Deutsches Ärzteblatt, 29.04.2013.

(7)     Devodic, K. et al. (2009). The brain and the stress axis: the neural correlates of cortisol regulation in response to stress. Neuroimage, 47(3), 864-71.

(8)     Kiecolt-Glaser, J. K., Gouin, J. P., Weng, N. P., Malarkey, W. B., Beversdorf, D. Q. & Glaser, R. (2011). Childhood Adversity Heightens the Impact of Later-Life Caregiving Stress on Telomere Length and Inflammation. Psychosomatic Medicine, 73(1), 16-22.

(9)     Tomiyana, A. J. et al. (2012). Does cellular aging relate to patterns of allostasis? An examination of basal and stress reactive HPA axis activity and telomere length. Physiol Behav, 106(1), 40-5.

(10) Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (2012). Anti-Stress-Verordnung praxisfern und nicht zielorientiert. Pressemitteilung am 27.06.2012.

(11) Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Die Perspektive der Arbeitgeber. Rede vom Arbeitgeberpräsidenten Dr. Dieter Hundt auf der Tagung „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ Berlin, 29. Januar 2013.

(12) Steinke, M. & Badura, B.  (2011). Präsentismus: Ein Review zum Stand der Forschung. 1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2011.

Arbeitsbedingungen, Gesundheitsmaßnahmen, Gesundheitsverhalten, Produktivitätssteigerung
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