In regelmäßigen Abständen untersucht das Robert-Koch-Institut (RKI) die Gesundheit der Deutschen. Auch die psychische Gesundheit ist seit Jahren Bestandteil der Untersuchung. In dem letzten großen Gesundheitssurvey sind nun erstmals bevölkerungsrepräsentative Daten zum „Burn-out-Syndrom“ erhoben worden. Das Burn-out-Syndrom beschreibt Beschwerden, die das Befinden beeinträchtigen und psychische Erkrankungen begünstigen, gilt jedoch nicht als eigenständige Krankheit. Die Ergebnisse wurden in dem 2015 erschienenen Bericht „Gesundheit in Deutschland“ veröffentlicht (1).
Angststörungen und Depressionen häufigste psychische Erkrankungen
Vergleicht man das Vorkommen des Burn-out-Syndroms mit dem anderer Erkrankungen und Risikofaktoren, zeichnet sich ein erstaunliches Bild: Während circa jede fünfte Frau (21%) und jeder zehnte Mann (9%) an einer Angststörung leidet, sind nur 1,9% der Frauen und 1,1% der Männer von einem Burn-out-Syndrom betroffen. Depressive Störungen sind nach Angststörungen die zweithäufigste psychische Erkrankung in Deutschland (13,1% der Frauen und 6,4% der Männer). Die dritthäufigste psychische Erkrankung und damit immer noch häufiger als das Burn-out-Syndrom ist die Alkoholabhängigkeit, wobei mehr als doppelt so viele Männer an einer Alkoholabhängigkeit leiden wie Frauen (Männer: 4,8%; Frauen: 2%). „Burnout“ ist damit ein relativ seltenes Phänomen und damit deutlich geringeres Problem als die ansteigenden Fehlzeitenstatistiken aufgrund psychischer Beeinträchtigungen vielen Menschen seit Jahren suggerieren.
„Burnout kein Massenphänomen“
DAK-Chef Herbert Rebscher zog aus dem Gesundheitsbericht 2013 bereits die Schlussfolgerung, dass das Burn-out-Syndrom kein Massenphänomen darstelle (2). Der Anstieg der Fehlzeiten aufgrund psychischer Beeinträchtigungen liege darin begründet, dass es den Betroffenen leichter falle mit der Diagnose „Burnout“ zu leben. Der Begriff scheine für Patienten positiver besetzt als beispielsweise Depressionen. Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Leipzig, bewertet die steigenden Fehlzeiten und Frühverrentung durch psychische Erkrankung sogar als „eine durchaus erfreuliche Entwicklung“ (3). Es bedeute, dass sich die Patienten mit Depressionen häufiger Hilfe holen. Laut Gesundheitsbericht des RKI leiden 70% der Personen mit einem Burn-out-Syndrom an einer psychischen Störung (1).
Arbeit selbst sei nach der klinischen Erfahrung von Hegerl fast nie die zentrale Ursache dafür, dass jemand depressiv wird (3). Hans-Ulrich Wittchen, der die Untersuchung zur psychischen Gesundheit in Deutschland gemeinsam mit Frank Jacobi geleitet hat, sagt zum Thema „Burnout“: „Diese Diagnose ist ein rein deutsches Phänomen“ (4). Depressionen seien in Deutschland verbunden mit der Vorstellung eines willensschwachen, passiven Menschen. „Burnout hingegen verbinden wir mit jemandem, der sich überanstrengt hat, der zu viel geleistet hat und deswegen krank wird. Das klingt nicht so stigmatisierend“.
Richtigen Schwerpunkt im BGM legen
Aufgrund der Daten zur Gesundheit in Deutschland sowie zur Entstehung von psychischen Erkrankungen sollte es im Gesundheitsmanagement in jedem Fall mehr um die Stärkung der Eigenverantwortung von Mitarbeitern als um den Schutz der psychischen Gesundheit durch bessere Arbeitsbedingungen gehen. Stress wird erst dann zu einem Gesundheitsrisiko, wenn die individuelle Bewältigung misslingt (5). Mitarbeiter zur Übernahme von Verantwortung für die eigene Gesundheit zu befähigen, ist daher wichtigste Aufgabe des Gesundheitsmanagements in Unternehmen.
Warum Gesundheitsmanagement in Deutschland diesen Schwerpunkt derzeit nicht erkennen lässt, ist nur zu vermuten. Sicherlich ist es einfacher, die Verantwortung beim Unternehmen zu suchen als die notwendige Anstrengung in Kauf zu nehmen, die mit der Übernahme von Verantwortung für die eigene Gesundheit verbunden ist. Der Versuch, die Ursache eines Burn-out-Syndroms auf die Arbeitsbedingungen zu schieben, scheitert kläglich, wenn evidenzbasierte Studien hinzugezogen werden. Falsche, unwissenschaftliche Fehlschlüsse aus Abwesenheitsstatistiken mit dem Verweis auf die Arbeitsbedingungen legen zudem den Verdacht nahe, dass eine Emotionalisierung des Themas „Burnout“ dabei helfen soll, erlebte Hilflosigkeit und mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen, zu verdrängen.
Die richtige Hilfe für Betroffene
Der einzige Vorteil der Diskussion über psychische Erkrankungen besteht in der Enttabuisierung und gestiegenen Bereitschaft der Menschen, sich zu ihren psychischen Leiden zu bekennen. Die Gefahr, die in der inflationären Verwendung des Begriffs „Burnout“ jedoch liegt, ist die, dass Betroffene, Kollegen und Vorgesetzte annehmen könnten, Ruhe, Urlaub und viel Schlaf würden dem Patienten helfen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Aus therapeutischer Sicht sind diese Maßnahmen bei einem Burn-out-Syndrom und einer Erkrankung an Depression kontraproduktiv. Statt Bettruhe wird z.B. körperliche Aktivität als Therapieform und wichtige Ressource im Aufbau und Erhalt der psychischen Gesundheit eingesetzt (6). Es ist wichtig, eine ernsthafte Erschöpfungsdepression nicht mit einer Auszeit vom Arbeitsalltag behandelt zu glauben und stattdessen mit professioneller Hilfe seine persönliche Bewältigungskompetenz zu stärken.
Quellen
(1) Robert Koch-Institut (Hrsg.) (2015) Gesundheit in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Gemeinsam getragen von RKI und Destatis. RKI, Berlin.
(2) Bühring, P. (2013). DAK-Gesundheitsreport 2013: Burn-out kein Massenphänomen. Deutsches Ärzteblatt International, Ausgabe 3/2013, 106 – 108.
(3) Wenderoth, A.: Arbeit kann helfen. Umgang mit Depressionen. Interview mit Ulrich Hegerl. Brand eins, Ausgabe 03/0.
(4) Hauschild, J.: Umstrittenes Psychologie-Werk: Katalog der Störungen. Spiegel Online Gesundheit.
(5) Kaluza, G. (2015). Gelassen und sicher im Stress. Das Stresskompetenz-Buch. Stress erkennen, verstehen, bewältigen. Heidelberg: Springer.
(6) Toker, S. & Biron, M. (2012). Job Burnout and Depression: Unraveling Their Temporal Relationship and Considering the Role of Physical Activity. Journal of Applied Psychology, 97(3), 699–710.